Donnerstag, 21. November 2013

Dick und dünn

Also, das hier wird länger. Das hier hat keine Bilder. Das hier wird sehr persönlich.
 
Ich hatte heute ein "nettes" Erlebnis mit einem unserer Kunden. Er sitzt zufrieden in unserer Warteecke. Ich gehe vorbei in die Firmenküche. Der Kunde spricht meinen Mann an, der nichtsahnend am Werkstatttresen arbeitet. Er sagt: "Kriegt Ihre Frau nichts zu essen? Die ist ja klapperdürr."
 
Ich stehe in der Küche und höre nur, wie mein Mann mich liebevoll verteidigt. Aber trotzdem bin ich irgendwie schockiert.
 
Ich habe neulich einen guten Artikel gelesen, auf der Brigitte Homepage. Er heißt Dick sein ist keine Charaktereigenschaft und ist wirklich sehr persönlich. Er hat mich betroffen gemacht. Lest ihn unbedingt, ihr werdet danach dicke Menschen anders beurteilen.
 
Ich sag euch was: mir ist es grundsätzlich scheißegal, ob jemand dick, dünn, zu dick oder zu dünn ist. Ob er hübsch ist oder eher nicht so hübsch. Ich mag natürlich auch lieber Menschen in meiner Nähe, die beispielsweise gepflegt sind. Aber das ist auch schon alles zum Äußeren eines Menschen, was mich interessiert. Ich sehe nie, wenn jemand zu- oder abgenommen hat, weil es mich schlichtweg total kalt lässt. Mich interessieren Geschichten, Erfahrungen, Charakter, Gefühle, Gespräche.
 
Anke Gröner beschreibt in ihrem Artikel sehr gut, wie sich dicke Menschen fühlen. Wie sie angestarrt werden, abgeurteilt und bewertet. Das ist übel. Und ich weiß aus Erfahrung, dass sich nicht nur zu dicke Menschen so fühlen. Sondern auch zu dünne.
 
Wahrscheinlich war ich, sobald ich laufen konnte, schon zu dünn. Ich bekam als Kind schon immer dumme Sprüche, ob ich aus Afrika kommen würde, wo es nichts zu essen gibt, ich war eine Bohnenstange, ein Gerippe, was auch immer. Und ich konnte nichts dazu. Ich hatte weder eine Ess-Störung noch einen gesundheitlichen Fehler. Ich war topfit und habe alles gegessen, ich hab sogar IMMER gegessen, damit ich bloß irgendwann zunehme. Hat nix genützt.
 
Immer und immer war ich zu dünn. Immer und immer habe ich dafür fiese Sprüche gekriegt. Ich hatte nur den Wunsch, einfach normalgewichtig zu sein, dann würde alles besser und gut werden. Dann könnte ich endlich am Schwimmunterricht teilnehmen, ohne mich in Handtücher zu wickeln und sofort ins Wasser zu springen, sobald ich keine Handtücher mehr am Körper hatte. Ich habe Tipps wie "Sahne statt Milch trinken", "Nutella statt Kakao in die Milch rühren" und andere Schlauheiten wie einen rettenden Strohhalm aufgegriffen.
 
Nix passierte. Ich wurde schwanger, hatte kurzzeitig 12 Kilo zugenommen und 8 gleich danach wieder ab. Nach ein paar Wochen passte ich in meine alten Klamotten. Na toll!
 
Alle, die mich nicht kannten, haben mich nur einmal gesehen und sofort diagnostiziert, dass ich Magersucht haben muss. Ist ja klar. Niemand ist einfach so SO dünn. Ich konnte reden, dass ich aber viel essen würde und das Essen auch nicht auskotze. Glaubt dir eh keiner.
 
Manche Menschen haben manchmal das Bedürfnis, anderen Menschen wehzutun. Ihnen etwas vor den Kopf zu knallen, ohne darüber nachzudenken, dass das den anderen extrem verletzen könnte. 
 
Niemals war ich auch nur in Versuchung, einem dickeren Menschen zu erzählen, dass er gefälligst mal weniger fressen sollte. Aber MIR haben dickere Menschen das mein Leben lang erzählt. Dass ich doch mal was essen sollte. Dass ich schlecht aussehe. Krank. Dünn. Wie ein Biafra-Kind. Wie eine Magersüchtige.
 
DAS IST NICHT WITZIG.
 
Seitdem sind ein paar Jahre vergangen. Meine zweite Schwangerschaft hat mir ein paar Kilo da gelassen. Ich bin mit 52 Kilo gestartet, habe mit 70 Kilo entbunden und bin jetzt bei 62 Kilo angelangt. Nach meiner Ernährungsumstellung habe ich sicher noch mal 5 Kilo abgenommen, aber nun ist das halt mein Gewicht geworden. 62 Kilo bei 1,76 Körpergröße.
 
Laut meinem Fitnesstrainer ein Idealgewicht. Mein Trainer ist stolz auf mich. Ich bin topfit. Ich habe mich noch nie besser gefühlt. Ich ernähre mich ausgewogen, rauche und trinke nicht, treibe Sport, bin viel draußen unterwegs, habe Muskeln, Kraft und Energie. Ich bin von allen Seiten beleuchtet so richtig gesund. 
 
Ich bin angekommen in meinem Körper. Er hat mir zwei Kinder geschenkt, hat mich durch mein Leben getragen, hat meinen Alltag bewältigt, Nächte mit mir durchwacht und anstrengende Tage gemeistert. Hat mit mir geweint und gelacht und getobt und gewütet und geliebt. Ich finde immer noch ganz viel an ihm auszusetzen. Es gibt makellosere, straffere und jüngere Körper als meinen. Die Schwangerschaften sieht man ihm an. Die durchwachten Nächte auch. Mein Hintern könnte kleiner, meine Beine länger und vor allem mein Busen größer sein, OOOOHJA. Aber es ist MEIN Körper. Ich sorge gut für ihn, denn ich habe nur den einen. Ohne ihn wäre ich nicht hier. Ich bin für ihn verantwortlich.
 
Bis ein Tag kommt, wo jemand einfach unbedacht etwas in den Raum schmeißt und keine Ahnung davon hat, wer ich bin und warum ich so aussehe, wie ich aussehe. Der nur seinen Spruch loswerden will. Der wohlgenährt und alt ist und einer jungen Frau einfach mal klarmacht, dass sie scheiße aussieht. Einfach mal so. Zwischen Zeitung und Kaffee. PAM!
 
Wenn ihr das hier gelesen habt und bis hierher geschafft habt, dann wäre es toll, wenn ihr euch das zu Herzen nehmt. Urteilt nicht über jemanden, bevor ihr nicht wisst, was der durch hat. Ihr könnt auch bei einem extrem dicken Menschen gar nicht wissen, ob er grade stolz wie Bolle ist, weil er von 170 Kilo auf 150 Kilo gelandet ist durch eine Diät oder Sport. Ihr könnt nicht wissen, ob jemand, der sehr dünn ist, wirklich krank ist, oder grade nix essen kann, weil er Kummer hat - oder ob er topfit ist und einfach nur dünn ist.
 
Einfach nur dünn. Einfach nur dick.  Mehr ist das nicht. Das sind nur verschiedene Körperformen, die gibt es eben. Darin steckt ein Mensch. Und der hat Gefühle. Und auf denen trampelt man nicht rum.
 

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