Montag, 12. Februar 2018

Ich bin raus

Ich bin raus. Gestern Abend habe ich mich aus meinem Instagram Account verabschiedet. Und ich habe die App und auch die von Facebook von meinen Geräten entfernt. Ich bin raus.

Und dabei war ich voll drin. Ich habe mir Follower gekauft. Es gibt Apps oder Programme, mit denen das geht. Ich bekam in kürzester Zeit mehr und mehr Follower und der erste Griff morgens war der zum Handy. Ich hatte über Nacht wieder 10 mehr!!! Halleluja! Ich kannte keinen verdammten von diesen Leuten. Nie gesehen. Als ich den ersten Blow-Job live auf Instagram sah, von einem meiner gottverdammten Follower, die ich alle nicht kannte, schwante mir zum ersten Mal, dass da was nicht gut sein kann....

Ich fotografierte mein Essen, BEVOR ich es aß. Ich fotografierte mich nach dem Sport. Beim Sport. Beim Spaziergang mit Balu fotografierte ich meinen Hund. Und den Sonnenaufgang. Und den Sonnenuntergang. Meine braunen Beine am Swimmingpool im Urlaub. Meinen Cocktail. Unseren Weihnachtsbaum. Mein Outfit.

Und WHO THE FUCK CARES?

Nobody. Jeder macht den gleichen Scheiss und ist davon überzeugt, oder im frühen Stadium des Postens HOFFNUNGSVOLL, dass es die Welt da draußen interessiert. Dass es eure falschen Freunde da draußen interessiert. Die euch "Süße" nennen, obwohl sie noch nie im Leben mit euch einen gottverdammten Kaffee getrunken haben. Die euch Herzen senden, obwohl sie auf der Straße an euch vorbei laufen würden. Weil ihr euch nicht erkennen würdet. Denn ihr kennt euch nicht. Ihr kennt nur euer Abbild, das ihr der Welt da draußen sendet, eure Arrangements aus Müslischalen, Kaffeetassen und Blumen, wofür ihr auf den Stuhl steigen musstet, um das abzulichten. Müslis und Outfits. Müslis und Outfits. Bis man ganz crunchy wird im Kopf.

Und ich war dabei. Aber sowas von. Müslis und Outfits. Und immer den Blick auf die Likes. Mag das jemand? Und wie viele? Und warum nicht? Was stimmt an meinem Outfit nicht? Oder am Sonnenaufgang? Was poste ich als nächstes? Was bringt mir likes. Und was möchte ich der Welt da draußen vermitteln?

Der Vergleich ist der Anfang vom Unglücklichsein. Hat mal ein kluger Mensch gesagt. Beim Vergleich mit anderen können wir nur verlieren. Wir werden immer abkacken. Andere Leben sind vielleicht nicht aufregender oder stylischer oder romantischer. Es wird nur gekonnter erzählt, dass es so ist. Aber das wahre Leben findet bei euch statt. Es krabbelt vor euren Füßen, es wartet im Garten, es sitzt auf eurem Fahrrad, es liegt in eurem Bett.

Ich liiiieeebe schöne Bilder. Ästhetische Kompositionen. Tolle Farben. Insofern hat mich Instagram schnell angefixt. Und lange hing ich an dieser Nadel.

Aber es sind nur Bilder.

Ist das die Art, wie wir uns begegnen wollen? Ist das die Art, wie uns Menschen sehen sollen? Macht das die Welt auch nur einen winzigen Deut besser?

Den vorletzten Hinweis auf die Traurigkeit des Postens habe ich auf unserem Luke Mockridge Abend erhalten. In der Pause. Ich bin sitzen geblieben und mein Mann holte uns ein Getränk. Ich schaute mich um und sah nichts außer bloggende und postende junge Menschen. Mädels und Jungs. Hashtag Luke Mockridge. Hashtag geiler Abend. Selfies. Keiner redete mit dem anderen. Oder nur um zu sagen, mach mal n Foto. Und da dachte ich mir so: das ist traurig. Das muss aufhören. Auch für mich.

Den letzten Hinweis auf die Traurigkeit des Postens habe ich gestern abend erhalten, als ich eine Instagram Story erstellt habe, bei der es darum ging, dass man dann wieder jemanden benennt und der jemanden benennt und so weiter. Einer Person war das zu doof, und ich bin ihr dankbar dafür. Denn den Schubs brauchte ich noch, um mir klar zu werden, wie traurig das ganze ist. Und wie verlogen. Und wie ich an der Nadel des Gefallens hing. Und dass ich mir die jetzt ziehen muss.

Ich will nicht danach bemessen werden, wie viele mögen, was ich tue. Ich bin eigentlich ein Mensch, dem es herzlich egal ist, was andere von mir denken. Eigentlich. Und trotzdem habe ich mit gemacht. Dabei will ich nur mein Leben leben. Ohne daran zu denken, ob das Essen ein Foto wert ist. Oder jemand anderem ein Like.

Bewertet zu werden ist etwas, das uns direkt vergleichbar macht. Und Vergleiche sind der Anfang vom Unglücklichsein. Jemand, der mehr Follower hat, ist mehr wert. Für die Industrie. Für welchen Zweig auch immer, er ist mehr wert. Wie lange der Sprung noch dauert, bis jemand auch als Mensch offiziell mehr wert ist als andere, wenn er mehr Likes hat, ist abzuwarten. Aber ich tippe, dass es nicht mehr lange dauert.

Guckt euch "Black Mirror" Staffel 3 Folge 1 an. Dann wisst ihr, was ich meine. In so einer Welt wollen wir nicht leben.

Wir wollen in einer echten Welt leben. Mit echten Freunden. Mit denen wir quatschen und lachen können, ohne das jemand anderem danach mitteilen zu müssen. Hashtag geiler Abend. Hashtag lange nicht mehr so gelacht. Nee, einfach nur lachen. Und quatschen. Und das verfickte Handy einfach liegen lassen.

Wir wollen in einer Welt leben, in der es okay ist, wenn man zum Therapeuten rennen muss, weil es einem scheisse geht. In der man schwach sein darf. Und unschön. Und normal. Und langweilig. Und in der man Cellulite haben darf und trotzdem in die Badeanstalt geht. Weil man kein verficktes Foto davon machen muss, sondern einfach nur seinen Spaß haben darf. Und in der es okay ist, wenn man okay ist. Und den anderen einfach sein lässt, wie er ist.

Hashtag fuck of Instagram. Hashtag fuck off Facebook.

Und tschüss.

Und hallo, echtes Leben!